Das Entstehen eines Auflösungsverlusts i.S. von § 17 Abs. 2 und 4 EStG setzt u.a. voraus, dass die Höhe der nachträglichen Anschaffungskosten feststeht. Ein Auflösungsverlust kann demnach regelmäßig noch nicht berücksichtig werden, sofern im fraglichen Veranlagungszeitraum die Verhandlungen über die Höhe der Inanspruchnahme aus einer Höchstbetragsbürgschaft noch nicht beendet wurden (BFH, Urteil v. 2.12.2014 – IX R 9/14, NV; veröffentlicht am 18.3.2015).

Hintergrund: Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer in den letzten fünf Jahren am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war (§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG). Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Als Veräußerung gilt auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft (§ 17 Abs. 4 Satz 1 EStG). Zu den berücksichtigungsfähigen nachträglichen Anschaffungskosten gehören vor allem auch Verluste aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungsmaßnahmen (Darlehen, Bürgschaften, Sicherheitsleistungen).

Sachverhalt: Der Kläger war Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Auf Antrag der Geschäftsführung eröffnete das Amtsgericht am 1.4.2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurden am 6.5.2010 alle Aktiva (der gesamte Betrieb) an einen Erwerber veräußert. Der Kläger hatte 2009 eine Höchstbetragsbürgschaft für Verbindlichkeiten der GmbH gegenüber einer Bank übernommen. Mit Schreiben vom 20.8.2010 teilte die Bank dem Kläger mit, dass sie noch eine Forderung gegen die GmbH habe. Der Kläger wurde daher aufgefordert, den Bürgschaftsbetrag bis zum 15.10.2010 zu zahlen. Nach mehrmonatigen Verhandlungen teilte die Bank dem Kläger schließlich 2011 mit, dass sie ihn bei Zahlung eines Betrages X bis zum 10.6.2011 aus der Bürgschaft entlassen werde. Mit Schreiben v. 30.5.2011 bestätigte die Bank, dass sie den Vergleichsbetrag am 27.5.2011 erhalten habe und keine Rechte aus der Gesamtbürgschaft mehr geltend mache. Mit ihrer Steuererklärung für das Streitjahr 2010 machten die Kläger einen Verlust gemäß § 17 EStG geltend. Finanzamt und diesem folgend das Finanzgericht vertraten die Auffassung, der Auflösungsverlust sei insgesamt erst 2011 zu berücksichtigen.

Hierzu führte der BFH weiter aus:

  • Das Finanzgericht hat hier zutreffend angenommen, dass im Streitjahr die nachträglichen Anschaffungskosten des Klägers aus der streitbefangenen Höchstbetragsbürgschaft noch nicht feststanden und deshalb der Auflösungsverlust des Klägers noch nicht entstanden war.
  • Das Finanzgericht hat die – ex ante bestehende – Unsicherheit hinsichtlich der Höhe der Inanspruchnahme des Klägers aus der Bürgschaft und damit der Höhe seiner nachträglichen Anschaffungskosten – in schlüssiger Weise – maßgeblich damit begründet, dass im Streitjahr sowie noch im Jahr 2011 schriftliche und telefonische Verhandlungen über die Höhe der Inanspruchnahme des Klägers geführt worden seien, so dass im Streitjahr noch nicht abzusehen gewesen sei, dass der Kläger nur in Höhe von 60.000 EUR in Anspruch genommen würde.
  • Soweit die Kläger in ihrer Revisionsbegründung vortragen, der Kläger sei zu einer Leistung von mehr als 60.000 EUR nach seinen bereits 2010 bekannten Vermögensverhältnissen nicht in der Lage gewesen, so dass deshalb auch die Höhe seiner Inanspruchnahme schon im Streitjahr festgestanden hätte, konnte das Finanzgericht dies nicht feststellen.

Anmerkung: Ohne Erfolg berief sich die Kläger auch auf die Entscheidungen des FG Münster v. 7.10.2003 – 13 K 6898/00 E und v. 12.5.2004 –1 K 6725/02 E. Erstgenanntes Urteil stellt auf die Besonderheiten bei einer Ablehnung eines Konkursverfahrens mangels Masse ab, zweitgenanntes betrifft keinen Fall, in dem über die Höhe der Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft verhandelt worden wäre.

Quelle: NWB Datenbank